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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wartungsanleitung Noris Shakespeare 2020 (Europa Klasse)



HerrJanssen
16.01.2016, 13:30
In dieser Anleitung soll es um die erweiterte Wartung einer Noris Shakespeare 2020 gehen. Sie ist mit kleinen Abweichungen -dank des Baukastensystems und ähnlichen Aufbaus- auf diverse weitere Shakespeare-Rollen aus der Zeit übertragbar.

Die Geschichte der Noris Shakespeare 2020 und ihrer Schwestern könnt Ihr in dem zugehörigen Thread (http://www.stilvoll-fischen.de/threads/1705-Vorstellung-Noris-Shakespeare-Europa-Klasse) nachlesen.

Das „How-To“ soll dem interessierten Laien ermöglichen, seine klassische Rolle selbst zu zerlegen, zu reinigen und zu warten. So lässt sich Verschleiß mindern und man kann mit nur wenig Aufwand, lange Spaß an dem guten Stück haben.

Bitte vorab folgende Reinigungsutensilien besorgen:


Petroleum (entfettet, ohne Metalle und Lacke* anzugreifen und die Explosionsgefahr ist überschaubar) ggf. Bremsenreiniger für völlig eingetrocknete Reste (*Lack stets vorab auf Lösemittel-Beständigkeit prüfen)
Ausreichend großer aber nicht zu steifer Borstenpinsel
flacher, nicht zu großer Kochtopf (standfester als Schüsseln) als „Reinigungsbecken“
Ggf. Zahnbürste
Ggf. Pfeifenreiniger (für tiefe Bohrungen)
Schraubendreher, Pinzetten, Zangen
Schmiermittel (z.B. Sprühfett für Maschinenelemente, Paca Super Lube)
Metallpolitur (z.B. Centralin Silberpflege)


Ich würde -speziell ungeübten Laien- nicht dazu raten, die Rolle blindlings komplett zu zerlegen, auch wenn speziell dieses Modell nur wenige Teile enthält und einfach aufgebaut ist. Vielmehr ist es hilfreich, sich baugruppenweise durchzuarbeiten, da man dabei sehr viel leichter den Überblick behält, wo z.B. welche Schrauben sitzen. Ein Fotoapparat hilft hier auch sehr gut weiter, wenn man alles vor dem Zerlegen fotografiert.
Sorgfalt, Ordnung und Sauberkeit, sind wie immer, die Schlüssel zu guten Ergebnissen.

Nun aber, frisch ans Werk!

Was die Serie von späteren Shakespeare-Modellen und vermutlich auch den meisten Rollen anderer Hersteller unterscheidet, sind die beidseitig zu öffnenden Seitendeckel. Auf der rechten Seite ist ein dünner Blechdeckel, der leicht zu Wartungszwecken entfernt werden kann. Hier kann bei Bedarf, gezielt an den neuralgischen Punkten der Hubstange und der Zahnräder nachgeschmiert werden.
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Auf der Kurbelseite wiederum bildet ein massives Gussteil, den Deckel, der das große Zahnrad des schrägverzahnten Kronenradgetriebes und die solide Rücklaufsperre beherbergt. Außen ist eine Schmiervorrichtung mit Kugelverschluss angebracht. Diese dient der Schmierung der Kurbellagerung, die regelmäßig mit einem dünnflüssigen Schmiermittel versorgt werden sollte. Früher wurde dafür z.B. dünnflüssiges Nähmaschinenöl verwendet, heute gibt es moderne Schmiermittel, die neben der Eigenschaft, nicht zu verharzen, weit bessere Notlaufeigenschaften besitzen. Hierzu später mehr.
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Bei abgeschraubtem Blechdeckel rechts, sehen wir sofort die beiden kleinen Schräubchen, die das Gleitstück des Exzenters auf der Hubstange fixieren. Diese lösen wir und legen sie gut weg. Nun kann die Hubstange leicht aus dem Gehäuse entfernt werden. Die Hubstange sollte auf Verformungen, Beschädigungen der Beschichtung etc. untersucht werden.
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Nun kann der Rotor abgebaut werden, damit die Rolle etwas kompakter wird. Hierzu, wie ggf. schon aus der Anleitung zur Ambidex bekannt, mit geeignetem Werkzeug z.B. mit einem gekröpften Ringschlüssel oder einer Ratsche (hier: 14mm Schlüsselweite) die Mutter lösen (Linksgewinde, also Lösen der Schraube im Uhrzeigersinn!) und den Rotor entfernen.
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In diesem Fall, war der Rotor innen voll mit altem Fett. Dieses lässt sich wunderbar auswischen und die Reste im Petroleumbad entfernen. Den Schnurfangbügel kann man zunächst montiert lassen, damit nicht zu viele Einzelteile herumfliegen. Alles schön mit einem weichen Tuch abtrocknen und weglegen.

Spätestens jetzt sollte die Kurbel entfernt werden, da wir auf der Seite weitermachen wollen. Vorsicht: Verbleibt die Kurbel am Deckel, wenn man ihn entfernt, kann man diese später nur gegen die Rücklaufsperre lösen, was mitunter ein wenig viel des Guten für diese ist. Also besser den Rotor mit einer Hand halten und die Kurbel so lösen. (Danke, Josef für Deinen Einwurf)
Hier sind im Deckel auch vier (deutlich längere) Schlitzschrauben vorhanden, die sehr weich sind. Daher bitte nur mit guten Schraubendrehern arbeiten, die exakt passen. Die Schrauben werden schnell unansehnlich und bekommen Grate, die unangenehm im Griff sind. Sind alle Schrauben gelöst, können wir den Deckel ohne Weiteres vom Gehäuse lösen. Auf der Innenseite blicken wir auf das große Zahnrad mit dem Exzenter-Stift, der zur Reibungsminimierung und Verbesserung der Laufruhe ein kleines Messing-Gleitlager trägt. Nicht übersehen und mit dem Petroleumbad entsorgen! Das große Getrieberad kann normalerweise ohne Kraftaufwand aus dem linken Gehäusedeckel gedrückt werden.
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Nun widmen wir uns dem stark abgespeckten Rollengehäuse und den darin befindlichen restlichen Bauteilen. Das Gleitstück, das die Drehbewegung der Kurbel in den Spulenhub wandelt, wird aus dem Rollengehäuse entnommen und natürlich ebenso ins Bad gelegt.
Die aus einer Messinglegierung bestehende Antriebswelle des Rotors, können wir ohne Probleme zum Gehäuse hin herausziehen.
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Jetzt beinhaltet das Gehäuse nur noch den Lagerdeckel und das (je nach Modell) Gleit- bzw. Wälzlager, sowie eine U-Scheibe. Die Stellung des Lagerdeckels, der den Bügelumschlag-Nocken beinhaltet, sollte man sich merken und ihn später wieder genauso montieren, sonst findet der Bügelumschlag plötzlich an ungewohnter Stelle statt…
Alle Teile können zunächst mit Küchenkrepp grob von den alten Fettresten befreit werden, das reduziert die Verschmutzung des Petroleums deutlich. Danach ins Bad damit und das Petroleum wirken lassen. Manchmal, wenn das Fett arg verharzt ist, ist es erforderlich, die Behandlung im Bad etwas zu verlängern. Pinsel und Bürste leisten hier wertvolle Hilfe und holen das alte Fett und den Schmutz aus allen Poren. Bei ganz harten Fällen hilft Bremsenreiniger. Ich rate aber davon ab, dieses Mittel in geschlossenen Räumen zu verwenden. Petroleum stinkt und entfettet (auch die Haut, was ungesund genug ist…), Bremsenreiniger ist aber zusätzlich sehr flüchtig und bildet explosionsfähige Gemische. Das ist schon eine andere Hausnummer. Also schön vorsichtig sein!
Nacheinander können alle Teile im Bad gereinigt und anschließend getrocknet werden. Hierbei sollten alle Lauf- und Gleitflächen auf Beschädigungen überprüft werden.
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Im Falle eines Falles kann man schlechte Stellen vorsichtig nacharbeiten und so weiterem Verschleiß der Rolle vorbeugen. Auf diese Weise kann man auch regelrechtes Tuning betreiben, denn glattere Oberflächen erzeugen nun mal weniger Reibung und die Rolle läuft schlicht leichter. Ein besonderes Augenmerk sollte auf der Hubstange und dem Antrieb/Lagerung des Rotors sowie der Kurbel liegen. Sind dort Riefen oder andere Schadstellen, können diese vorsichtig mit sehr feinem Schmirgelpapier (>1000 Korn) ausgeschliffen und auspoliert werden. Aber bitte wirklich vorsichtig, denn sonst entsteht zuviel Spiel und die Rolle läuft mitunter schlechter als vor der „Tuning-Kur“…
Ich erlebte bei der vorliegenden Rolle eine böse Überraschung: Die der Lauffläche der Kurbellagerung, wies eine in Auflösung befindliche Verchromung auf. Hier wurde die o.g. Wartungsöffnung im Deckel wohl nicht sehr oft benutzt, um diese Lagerstelle nachzuschmieren…
Da kaum jemand „mal eben“ ein Galvanikunternehmen auftreiben kann, das auch noch solche Kleinteile bearbeitet, bleibt hier nur der Griff zur Metallpolitur, um die Lagerfläche wieder auf Vordermann zu bringen.
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Nach der mehrfachen Politur der Welle, bei der zumindest die Übergänge der Chromschicht zum Grundmaterial geglättet werden sollten (siehe Bilder), um den Fortschritt der Ablösung zu verlangsamen, wird die Lagerbuchse im Deckel mit einem Wattestäbchen gereinigt und ebenfalls vorsichtig poliert, um evtl. vorhandene Grate zu entfernen. Nun kann hier ein Sprühstoß eines dünnflüssigen Hochleistungsschmierstoffs (z.B. das in der Auflistung genannte Super Lube von Paca) aufgebracht werden. Das Lösemittel kann in Ruhe ablüften, während wir uns um andere Bauteile kümmern.
Die Rolle ist nun vollständig zerlegt und nur das federleichte leere Gehäuse liegt vor uns. Dieses kann auf die gleiche Weise gereinigt werden, wie alle Kleinteile: Ab ins Bad damit!
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Jetzt ist aber auch alles am Rollengehäuse gereinigt und optimiert. Wir tragen an den neuralgischen Stellen das gewünschte Schmiermittel auf. (Merke: langsam drehende Teile werden tendenziell gefettet, schnell drehende, eher geölt) Bei der Verwendung von Produkten aus der Sprühdose, sollte den Mitteln eine ausreichende Ablüftzeit eingeräumt werden. Erst dann sind sie in der Lage ihren Dienst zu verrichten und verdrücken sich nicht schon bei geringster Beanspruchung von der Schmierstelle.
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Wir bauen nun also die Rolle in umgekehrter Reihenfolge wieder zusammen. Bitte hierbei vorsichtig agieren. Alle Schrauben von Hand ansetzen und dann gleichmäßig anziehen.

Die Bremse ist hier vergleichsweise klein dimensioniert und konventionell aufgebaut. Hier reicht es die Filzscheiben (mit Bremsenreiniger) zu tränken und abzutrocknen.
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Die Metallscheiben können einfach mit im Petroleumbad gereinigt werden. Die Reihenfolge der Bremsscheiben ergibt sich aus dem Bild. Von links nach rechts betrachtet, bedeutet in der Spule von unten nach oben. Jede Scheibe sollte mit einem geeigneten Mittel benetzt werden, um ein ruckfreies Arbeiten der Bremse zu gewährleisten. Dies ist bei der kleinen Bremse sowieso nicht leicht, da die Dosierbarkeit nicht besonders gut ist. Ein paar Grad mehr oder weniger am Knebel, bewirken bereits eine starke Änderung der Bremswirkung. So war das damals, in den Roaring Sixties.
Ich nutze dafür ebenfalls Super Lube.

Nun kommen wir zum Schluss zum Schnurfangbügel. Dieser kann durch das Entfernen der beiden Schrauben leicht abgebaut und gesäubert, sowie poliert werden. Die Verchromung hat je nach Lagerbedingungen, oftmals gelitten, was die Schnur unnötig aufrauen würde.
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Die beiden Schrauben und die Feder, sowie die Befestigungen am Rotor sollten entsprechend gründlich gereinigt und leicht geschmiert werden. Die Ringnut im Rotor, wo die Feder sitzt, sollte ebenfalls leicht gefettet und die Feder eingesetzt werden. Das schützt die Feder sicher vor Rost, wenn im Regen gefischt wird. Der Anbau des Schnurfangbügels ist im Grunde selbsterklärend. Der Haken an der Feder muss natürlich in die Aussparung am Bügelhalter, das andere Ende in die Nut am Rotor. Bitte keine Gewalt! Die Federn sind empfindlich und ein lahmer Bügel bedeutet, dass die Rolle unter Umständen nicht gefischt werden kann.

Die 2020 besitzt ein gleitgelagertes Schnurlaufröllchen, das speziell bei Neuerwerbungen abgebaut und ebenfalls inspiziert werden sollte. Das passiert am besten, wenn der Schnurfangbügel an Ort und Stelle ist. In diesem Fall ist keine Teflonbuchse verbaut, also gehört hier ebenfalls ein Spritzer Super Lube dran.
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Damit wären wir im Grunde am Ende. Die Rolle ist gereinigt, frisch geschmiert und läuft hoffentlich wieder wie neu.

Kleiner Hinweis zum Petroleum-Bad. Ich schütte das gebrauchte Petroleum in ein sicher schließendes Glasgefäß und verwende es mehrmals. Fettreste, Abrieb, Partikel etc. setzen sich nach kurzer Zeit wieder ab und man kann, mit geringen Verlusten, durchaus mehrere Rollen auf Vordermann bringen, wenn man beim nächsten Mal das fast saubere Petroleum vorsichtig abgießt und die Sedimente im Glas belässt.

Petri Heil!

P.S. Trotz mehrfacher Durchsicht, ist es natürlich möglich, dass sich Fehler eingeschlichen haben. Ich sehe das sportlich. Bitte kurze PN, ich korrigiere den Beitrag.

BRB
16.01.2016, 14:16
Suuuuper gemacht:danke:!
Gruß-BRB

daWurzelsepp
16.01.2016, 17:07
Danke für den sehr detaillierten Beitrag. :thumbs: Ich hätte es nicht so schön hinbekommen.

Beim abmachen und anziehen der Mutter am Bügel ist besondere Vorsicht angebracht. Bei zu festem anziehen reißt der Bolzen gern mal ab.

Zur Info.
Diese 2020 ist übrigens schon eine der letzteren Versionen. Sie besitzt schon die neuere Spule sowie die neue Kurbel. Die Umschaltung der Rücklaufsperre müsste noch die alte sein.

Tincer
16.01.2016, 19:47
Suuuuper gemacht:danke:!
Gruß-BRB

Genau, sehr schöner Wartungsbeitrag.

Was ich interessant finde, ist diese Innenwand im Rollengehäuse, diese Bauart habe ich bisher noch nicht gesehen.

Ist das Schnurlaufröllchen drehbar?

HerrJanssen
16.01.2016, 20:22
Hallo Tincer, ja, das Schnurlaufröllchen ist drehbar. Hier kann es aber bereits bei kleinsten Verformungen der Aufnahme, zu Klemmern kommen. Das ist ja nur ein einfaches Stanzteil. Der gleiche Konstruktionsfehler, wie bei der blauen Ambidex (ältere Modelle) und den Ball Bearing, so wie diversen anderen Shakespeare-Rollen.

Centrepinfan
07.02.2016, 17:14
Darf ich Euch beide noch ein letztes Mal nerven? Die 2030er ist gekauft. Herr Janssen schreibt:

Außen ist eine Schmiervorrichtung mit Kugelverschluss angebracht. Diese dient der Schmierung der Kurbellagerung, die regelmäßig mit einem dünnflüssigen Schmiermittel versorgt werden sollte.

Wahrscheinlich stehe ich einfach nur auf dem Schlauch, aber wo befindet sich dieser Kugelverschluss (weiss blöderweise nicht was das ist) möchte mich schon an die Pflegeanweisung halten aber wo und wie schütte ich nun Oel rein?
Vielen Dank für Eure Hilfe und LG
H.P.

HerrJanssen
07.02.2016, 17:20
http://www.stilvoll-fischen.de/attachment.php?attachmentid=6083&d=1452946574

Hier findest Du unter dem "e" von ".de", dem Wasserzeichen auf dem Bild die Antwort. Eine plangeschliffene Stelle, die mit einer federbelasteten Kugel als Verschluss, der Schmierung der Lagerung dient. Ich weiß aber nicht, ob alle Modelle aller Generationen diese Vorrichtung haben.

Die 2030. die Josef in Deinem Thread gezeigt hat, hat das auch.

Centrepinfan
07.02.2016, 17:25
Vielen Dank, erst mit der Lupe habe ich diese kleine Kugel gesehen, muss mir wohl gelegentlich wegen einer neuen Brille Gedanken machen. Man drückt also dann diese kleine Kugel mit einer Nadel runter und dann kommt das Oel rein?

HerrJanssen
07.02.2016, 17:29
Wenn Du Deine neue Rolle hast und diese zerlegst, und neu schmierst, brauchst Du Dir darum zunächst keine Sorgen zu machen. Denn, wenn Du sorgfältig gereinigt und geschmiert hast, hält das (hoffentlich brauchbare) Schmiermittel eine ganze Weile vor. Aber grundsätzlich wird darüber geschmiert, ja. Ob es früher dafür spezielle Vorrichtungen gab, weiß ich nicht.

daWurzelsepp
07.02.2016, 18:14
Im normal Fall drückst du nur mit dem Ölkännchen nur auf die Kugel drauf und Ölst so nach. Diese Kugel sollte in den meisten Fällen leicht runter gehen ausser es hat mal jemand Fett rein gemacht dann wird es schwierig. An das Problem hab ich mich noch nicht rangetraut.

HerrJanssen
29.05.2016, 10:51
Aus gegebenem Anlass noch eine Ansicht der Rücklaufsperre der 2020!
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jason
29.05.2016, 11:08
Hallo Alex
Bei meiner sieht das anders aus. Ich werde versuchen Bilder hochzuladen und einen ausführlichen Bericht zu schreiben.
Du hast recht. Wenn es öffentlich gemacht wird, können sich mehr Mitglieder daran beteiligen. Mal sehen ob ich das hin kriege. Habe ich nämlich noch nie gemacht.

Gruß

Jason